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LAT - living apart together

Moderne Modelle des Zusammenlebens in der Paarbeziehung werfen neues Konfliktpotenzial und überraschende Themen in der Beratung auf.

Immer seltener können Menschen in ihrer Paarbeziehung auf das alt gewohnte, von den Eltern übernommene Beziehungsmodell zurückgreifen. Das gilt sowohl für unseren Bindungsstil als auch beim Sex.

 

Von Birgit Lutherer

Paar- und Sexualberaterin im IPB Lutherer

 

Ein interessantes Beispiel hierfür bietet LAT, living apart together (getrenntes Zusammenleben). Die Partner leben also in einer festen Beziehung miteinander, geteilt wir aber lange nicht alles. Vor allem nicht der Wohnraum. Jeder lebt für sich in seiner eigenen Wohnung und ist sein eigener Herr. Gleichwohl werden Aktivitäten gemeinsam geplant und unternommen.

Das Intimleben findet je nach Absprache bei ihr oder ihm statt. Manchmal bleibt man auch übers Wochenende zusammen, so zu sagen an Tisch und Bett vereint.

Die persönliche Freiheit bleibt erhalten, Verpflichtungen halten sich in einem verträglichen Maß.

Aber der schöne Schein trügt. Was für den einen paradiesisch anmutet und unbeschwerte Freiheit bedeutet, kann für den anderen Qualen der Sehnsucht bedeuten.

Zunehmend kommen Paare in die Beratung, die hier keinen Konsens finden können. Das Konfliktpotenzial ist groß. Lösungen scheinen hier zunächst schwer auffindbar zu sein.

Das Lebensmodell LAT ist ein Luxus-Kind unserer Zeit. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Möglichkeit in dieser Form als Paar zu leben undenkbar. Sowohl moralische Normen und Wertevorstellungen als auch die Verfügbarkeit an Wohnraum standen dem entgegen. Erst seit den 1970ger Jahren begann langsam der Wunsch und die Möglichkeit des freien Zusammenlebens zarte Knospen zu treiben.

Heute, im Jahr 2016, gibt es weder moralische Bedenken, noch zu wenig Wohnungen. Ein riesiger Markt für Singles ist vorhanden. Jede Branche bewirbt diese immens wachsende Gruppe der Bevölkerung. Der Wirtschaftsfaktor ist groß.

Individualität zu leben scheint heute das höchste erstrebenswerte Gut zu sein.

Individualität leben und gleichzeitig ernstgemeinte, tiefe Bindung zum Partner; Passt das zusammen?

Wie wir schon gesehen haben, gibt es moralisch und gesellschaftlich heute keine Bedenken mehr. Der herrschende Grundtenor lautet: Warum etwas aufgeben, wenn beides geht? (Im Sinne von erlaubt ist.) Es ist praktisch, bequem und „in“.

Jedoch von der Grundfiguration der Beziehungsstruktur ist dieses Modell bedenklich. Der Mensch ist schließlich ein soziales Wesen. Er ist von jeher von Bindungen abhängig, z.B. zur Mutter, zur Familie, zur Sippe. Hier ist die Versorgung gewährleistet. Hier gibt es Nahrung, Zuwendung, Sicherheit, Schutz usw. Der innere Wunsch danach ist nach wie vor groß. Da brauchen wir uns nichts vormachen. Wenn wir genau in uns hinein horchen und fühlen wird jeder einzelne das feststellen. Genauso ist früher oder später irgendwann der Wunsch nach einer engen Beziehung zum Partner groß. Feste Beziehung bedeutet auch hier: Sicherheit, Verlässlichkeit, Anerkennung, Geborgenheit etc.

Wenn Beziehung ernst gemeint ist und auf Dauer und Zukunft ausgerichtet ist, kommt jedes Paar an einen Punkt, wo Entscheidung gefordert wird. Lebe ich meine Individualität um jeden Preis oder gehe ich Kompromisse ein für ein klassisches Zusammenleben mit dem/r Partner/in? Möchte ich das eine, das andere, vielleicht sogar was anderes oder ganz was anderes? Hier finden wir ein echtes Dilemma bzw. Tetralemma.

An diesem Punkt war auch Frau P., als sie sich an mich wandte.

Frau P. erzählt mir bei unserem ersten Termin, dass sie eigentlich sehr glücklich mit ihrem Partner sei. „Wissen Sie, Jürgen und ich sind sehr verliebt ineinander. Wir können nicht mehr ohneeinander leben. Wir sind füreinander geschaffen. Niemals zuvor hatte ich einen Partner, mit dem ich so viele Gemeinsamkeiten hatte, Interessen teilen konnte und bei dem ich mich so wohl fühlen konnte. Er ist einfach perfekt. Auch insgesamt, meine ganze Situation ist zum ersten Mal in meinem Leben perfekt. Nachdem meine Tochter eine eigene Wohnung gefunden hat, lebe ich alleine und genieße in vollen Zügen meine neugewonnene Freiheit. Jürgen wohnt im nahe gelegenen Nachbarort in seiner eigenen Wohnung und ich in meiner. Die Freiheit ist herrlich.“ Frau P. gerät geradezu ins Schwärmen. „Aber“ fährt sie betrübt fort, „ mein Glück scheint mal wieder zu zerplatzen. Aus der schöne Traum.“ Ich frage nach, was denn passiert sei. Meine Klientin schildert mir, dass ihr Partner den Wunsch geäußert hat, dass sie in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Einerseits sei die Vorstellung reizvoll für sie, aber sie befürchte, ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Andererseits befürchte sie, wenn sie nicht auf den Wunsch ihres Partners eingehe, ihn zu verlieren. „Was soll ich nur tun? Ich weiß nicht mehr weiter. Meine Gedanken drehen sich nur noch um dieses eine Thema, wie auf einem Karussell.“  

An dieser Stelle hake ich ein und fasse zusammen, was Frau P. mir mitgeteilt hat. Zum einen möchte ich mich dadurch vergewissern, dass ich das Gesagte genau verstanden habe und zum anderen, was vielleicht noch wichtiger ist, dass Frau P. sich verstanden fühlt.

Im Anschluss kläre ich meinen Beratungsauftrag mit Frau P.

„Frau Pohl, welchen Wunsch haben Sie an mich? Was möchten Sie hier, in meiner Beratung, erreichen?“, frage ich sie. Frau P. überlegt eine Weile und antwortet mir: „ Ich glaube, ich möchte eine Lösung finden, die sowohl für mich als auch für Jürgen zufriedenstellend ist.“

Ich frage meine Klientin, wie ich mir `zufriedenstellend´ vorstellen kann. Die Antwort darauf kann sie mir nicht geben. Sie hat selber keine genau Vorstellung davon. Deshalb mache ich ihr folgenden Vorschlag: „ Frau P., ich möchte Sie einladen, mit mir eine kleine Reise in die Zukunft zu machen. Stellen Sie sich vor, alle Ihre Probleme und Bedenken hätten sich über Nacht aufgelöst. Wie würden Sie, sagen wir mal in einem halben Jahr, leben? Was müsste dann sein, damit Sie sagen könnten, dass Sie zufrieden sind?“ Wieder bleibt Frau P. mir eine Antwort schuldig. Deshalb beschließe ich, Ihr diese Frage als „Hausaufgabe“ mitzugeben. Zu Hause, in Ihrer vertrauten Umgebung kann sie sich in Ruhe dieser Frage widmen. Ich bitte Frau P. sich diese Frage zu notieren und später weitere Notizen und mögliche Antworten hinzuzufügen.

In der folgenden Sitzung erlebe ich Frau P. aufgeschlossen und zuversichtlich. Stolz zeigt sie mir ihre „gemachten Hausaufgaben“. Eine Reihe an Wünschen sind mit rotem Stift von ihr markiert worden. Ich frage sie, welche Bedeutung die rote Markierung hat. Frau P. erklärt mir, dass das jene Wünsche seien, von denen sie glaube, dass sie erfüllt sein müssten, damit sie mit ihrem Partner Jürgen zufrieden leben könnte.

Da es so viele formulierte Wünsche sind, frage ich Frau P., ob es Prioritäten gibt. Frau P. ist sich wieder nicht sicher. Also schlage ich ihr vor, anhand einer Wunschscheibe, die Wichtigkeit herauszuarbeiten. In unserer Sitzung erweist sich die Arbeit mit der Wunschscheibe als nützliches Mittel. Nachdem Frau P. ihre mitgebrachten Punkte so sortiert hat, dass die weniger wichtigen Wünsche im äußeren Kreis der Scheibe stehen und die wichtigsten zwei im Zentrum der Scheibe, wird ihr einiges klar. Sie erkennt, dass manches von ihr Gewünschte nichts weiter ist als ein schöner, jedoch nicht realisierbarer Traum. Indem meine Klientin ihre Gedanken und Wünsche sichtbar zu Papier gebracht hat, hat sie gleichzeitig damit begonnen, ihren Lösungsweg zu erkennen. Mehr noch, durch unsere Arbeit wird ihr immer klarer, was sie wirklich möchte.

Während unserer weiteren Sitzungen erkennt Frau P. immer deutlicher, welchen Weg sie einschlagen sollte um vom Wunsch in die Wirklichkeit zu gelangen. Dazu wende ich Tools aus der Systemischen Beratung, sowie der Lösungs- und Ressourcenorientierten Beratung an. Außerdem gehe ich mit Frau P. ins Kommunikationstraining. Vor allem mittels der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg erlernt meine Klientin, ihre  wirklichen Wünsche und Bedürfnisse klar zu äußern.

In meiner Beratungsarbeit mit meinen Klienten und Klientinnen bestätigt sich immer wieder, dass eine Kombination aus Systemischen Ansätzen, Lösungs- und Ressourcenorientierter Beratung, Kommunikationstraining, sowie kreativen Interventionen und Übungen äußerst effektiv ist. Die Kombination greift besonders bei der Lösung eines Dilemmas bzw. Tetralemmas, wie wir es im Beziehungs-Thema LAT finden. 

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